Aus dem aktuellen SWmagaz.in: Eigentlich ist ja in diesem Steigerwaldtal die Welt zu Ende, weiter geht‘s legalerweise nur noch zu Fuß. Handthal, ein Dorf bei dem auf 20 Einwohner eine Gastwirtschaft kommt. Das Dorf im Steigerwald mit seinen mächtigen Buchenwäldern, mit Bäumen, die manchmal mehr als 200 Jahre auf dem Buckel haben, unterscheidet sich durch nichts von anderen Dörfern, die weitaus mehr Einwohner haben aber kein einziges Gasthaus.
Schon in den sechziger Jahren haben wir als Kinder mit den Eltern, Großeltern und der ganzen Sippschaft mindestens jedes Quartal einmal einen Ausflug nach Handthal gemacht. Das Steigerwalddorf war auch in der Familie der kleinste gemeinsame Nenner. Vor 11.30 Uhr einen Tisch im einzigen Dorfgasthof oder gar auf der Stollburg zu besetzen, war das erklärte Ziel der eiligen Fahrt von Schweinfurt über Gerolzhofen nach Handthal. Gäste, die nach 11.30 Uhr eintrafen, hatten regelmäßig das Nachsehen. Tischreservierungen per Telefon waren zu dieser Zeit keine Option. Eine Pflichtveranstaltung nach dem Essen war der gemeinsame Spaziergang rund um die Stollburg. Seit 1525 die aufständischen Bauern die Stollburg überfallen und niedergebrannt haben, ragt nur noch eine Ruine mit bizarren Steinformationen in den Himmel, für die Kinder ein Abenteuerspielplatz für phantasievolle Ritterspiele.
Die Naturfreunde im Familienclan haben, versucht die Kinderaugen auf den ersten Seidelbast im Frühling, auf die Buschwindröschen und Leberblümchen zu lenken. Das Tack-tack-tack der Spechte, auf dem Rückweg durch den Wald, war die einzige Soundkulisse in diesem Paradies, die im Gedächtnis hängengeblieben ist. Es muss mehr sein als nur Natur und Landschaft, die den Mythos Handthal begründen. Im Gespräch mit dem Bürgermeister Josef Radler haben wir versucht diesem Mythos auf die Spur zu kommen.
Im südlichsten Zipfel des Landkreises
Nach Ansicht des Bürgermeisters ist schon die landschaftliche Vielfalt eine von vielen Faktoren, die die Anziehungskraft des Gemeindeteiles der Marktgemeinde Oberschwarzach im südlichsten Zipfel des Landkreises begründen. Das Zusammenspiel von Wald, Wein, Wiesen, Wanderwegen und Sehenswürdigkeiten ist die Stärke von Handthal, dazu kommt ist eine bodenständige Gastronomie, bei der das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Es gibt sicher, auch nach Ansicht von Bürgermeister Radler, billigere Ecken im Steigerwald, aber die Qualität von Speisen und Getränken scheint doch bei den Gästen eine gewichtige Rolle zu spielen. Die Gastwirtschaften bewegen sich qualitätsmäßig und von den Preisen auf der Karte alle auf etwa dem gleichen Level. Der Radius der Anziehungskraft hat sich im Laufe der Zeit stetig erweitert. Autonummern aus Bamberg, Würzburg, Nürnberg und noch weiter sind heute auch an den Werktagen in Handthal zu sichten. Eine wichtige Rolle spielt die Nähe zu Erbrach.
Der Steigerwaldklassiker: Ebrach – Steinernes Kreuz – Handthal
ist die ‚Wanderautobahn‘ im Steigerwald. An schönen Wochenenden kann man alle deutschen Dialekte auf diesem Weg hören. Es gibt aber durchaus Wege mit den gleichen Zielen, die weniger bekannt sind und Stille und Einsamkeit garantieren. Ebrach und Handthal sind touristisch gesehen ein gutes Gespann. Ebrach hat die Kultur und Handthal den Wein und das gute Essen. Dass dabei die Wanderer eine Landkreisgrenze überschreiten ist nur Eingeweihten bewusst, eine Rolle spielt das keine.
Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor
In seiner Marktgemeinde Oberschwarzach ist der Fremdenverkehr, der Tourismus eigentlich der größte Wirtschaftsfaktor. Josef Radler erzählt von einer Bauanfrage für eine Pension. Übernachtungsgäste wären ein Segen für die Tourismus-Wirtschaft, die bis dato nur vom Tagesgeschäft abhängig ist. Ein weiterer Interessent ist auf der Suche nach einem passenden Grundstück.
Sanfter Tourismus
ist nicht nur eine Schlagwort für den Bürgermeister. Schon sein Vorgänger hat die Bestrebungen, Handthal mit einer Autostraße nach Michelau anzubinden, blockiert. Die Handthaler wollten keinen Durchgangsverkehr. Einige der Winzer haben ihre Chance nach dem Krieg erkannt, Ausbildung und Generationenwechsel kamen dazu. Aus anfänglich reinen Weinbauern wurden stattliche Kellereien und großartige Gastronomiebetriebe. Dabei sind die Handthaler immer auf dem Teppich geblieben. Das Café Lust z.B., zuallererst die einzige Dorfwirtschaft, feierte jüngst als Café die Wiedergeburt. Stolz ist der Bürgermeister auf die Statistik: „Insgesamt sind es sechs Gastronomiebetriebe auf 120 Einwohner, also auf 20 Einwohner ein Gastronomiebetrieb”. Das dürfte auch in Bayern ein unerreichter Spitzenwert sein. Dass keiner von den Gastronomen am Hungertuch nagt, ist schon an den Privatbauten und dem Zustand der Betriebe äußerlich abzulesen. Dennoch sieht der Bürgermeister in der demographischen Entwicklung ein Problem. „Wenn die Jungen mal studieren oder irgendwo anders zur Schule gehen, finden sie oft auch einen Arbeitsplatz dort und bleiben.”
‚Nachhaltigkeitszentrum Wald‘
Einer der Gründe, warum der Bürgermeister und die überwiegende Mehrheit der Einwohner den Bau des ‚Nachhaltigkeitszentrums Wald‘ in Handthal begrüßen. Dieses ZNW in die einzigartige Landschaft rund um Handthal zu integrieren wird eine der größten Herausforderungen für die Gemeinde werden. Die Gemeinde erhofft sich von dem ZNW eine Verbreitung des Bekanntheitsgrades und dass dabei auch andere Vorzüge der Region haften bleiben. Auch Forstminister Helmut Brunner erwartet „eine möglichst breit aufgestellte Kooperation von Kommunen, regionalen Akteuren, Förderern und weiteren Interessenten, nur so wird das neue Zentrum ein echtes Gemeinschaftsprojekt für die Region”. Bauherr wird der Freistaat sein, ein Trägerverein hat sich unter dem Vorsitz von Landrat Harald Leitherer schon gegründet. Ein Baumwipfelpfad wird in der Nähe von Ebrach gebaut und wird das touristische ‚Zusammenspiel‘ von Handthal und Ebrach wohl weiter vertiefen.
Große Finanzspritze
Rund 3,5 Millionen Euro wird der Freistaat in Handthal investieren. Mit dem Bau soll schon jetzt im Frühjahr begonnen werden. Insgesamt wird es wohl zwei Jahre dauern, bis die ersten Besucher eingelassen werden können. Mit dem Informationszentrum in Handthal soll der Wert und die Notwendigkeit nachhaltiger Forstwirtschaft aufgezeigt werden. An ein ‚Überrennen‘ der Handthaler mit unkontrollierten Besucherströmen glaubt Bürgermeister Radler nicht. Der geplante Parkplatz außerhalb des Dorfes wird dafür sorgen, dass der Autokorso die Straße im Dorf nicht verstopft. Die Beteiligung der Unteren Naturschutzbehörde in der Person von Jürgen Kiefer vom Schweinfurter Landratsamt wird dafür sorgen, dass dieser Parkplatz keine öde Betonfläche wird. Die Anpflanzung von Büschen und Hecken wird dafür sorgen, dass die rund 150 Stellplätze in der Landschaft verschwinden. Die Landschaft unterhalb des Parkplatzes ist eine sensible Bachaue, die Jürgen Kiefer geschützt sehen will.
Nur wenige sind dagegen
Stimmen, die in der Tagespresse laut geworden sind, wonach sich Handthaler Bürger gegen das Projekt ausgesprochen haben, relativiert der Bürgermeister: „Ganze 12 von 126 haben sich bis jetzt offen gegen das Informationszentrum bekannt.” Die allermeisten sehen im ZNW eine Entwicklungschance, die für das Dorf und die Region sehr wichtig ist. Radler betont, dass die Idee des sanften Tourismus auch damit nicht angetastet werden soll.
Einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass das Projekt nach Handthal kommt, hat neben Landrat Harald Leitherer auch Staatssekretär Gerhard Eck. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins ‚Unser Steigerwald‘ hat er wohl seinem Parteikollegen, Minister Helmut Brunner, immer wieder mal in den Ohren gelegen.
Federführend für das ganze Projekt ist das Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten in Schweinfurt, in Person von Stephan Thierfelder und Andreas Leyrer.
Den Mythos Handthal erklärt das alles nur unzureichend. Am ehesten kommt man ihm näher, wenn man an einem normalen Werktag, es muss noch nicht einmal unbedingt die Sonne scheinen, von der Winzerkapelle oder vom Stollberg hinaus schaut in des fränkische Land. Vielleicht ist es ja auch die Spekulation darüber, dass auf der Stollburg der Minnesänger Walther von der Vogelweide geboren sein soll.
von Jürgen Kohl – jkohl@revista.de
Aus dem aktuellen SWmagaz.in: http://swmagaz.in/swmagaz-in-ausgabe-04-2012