Der Frühling beflügelt – den Menschen, der im Straßencafé mit dem ersten Eis der Saison liebäugelt. Und das Rehwild, das auf das satte Grün am Straßenrand schielt. Berechtigterweise, immerhin haben die Tiere die vergangenen Monate gefastet – der Hunger ist groß. Doch darin besteht eine tödliche Gefahr. Das Wild ist in diesen Tagen verstärkt unterwegs und wechselt häufig die Straßenseite auf der Suche nach dem saftigsten Futter. Hinzu kommt die Umstellung auf die Sommerzeit am kommenden Sonntag. Abrupt fallen morgendlicher Berufsverkehr und Dämmerung zusammen. Damit steigt das Risiko für Wildunfälle schlagartig, denn Rehe sind besonders in den frühen Morgenstunden verstärkt unterwegs. Der Deutsche Jagdschutzverband (DJV) appelliert an alle Autofahrer, besonders an Wald- und Feldrändern aufmerksam zu sein. „Das ist wie eine Straße durch die Wohnung“, sagt Hartwig Fischer, Präsident des DJV. Ein Wechsel vom Schlafzimmer, den Wald, auf die Wiese, das Esszimmer, sei dann eine tödliche Gefahr. Denn das Auto ist beim Wild als natürlicher Feind nicht einprogrammiert.
Rehe verursachen 90 Prozent der Unfälle. Das geht aus der aktuellen DJV-Wildunfall-Statistik hervor. Im vergangenen Jagdjahr (von April 2010 bis März 2011) verendeten auf deutschen Straßen mehr als 200.000 Stück Rehwild nach Kollisionen mit Fahrzeugen. Zudem bezahlten rund 3.400 Wildschweine den Versuch, Landstraßen und Autobahnen zu überqueren, mit dem Leben. Die Unfallfolgen sind für Autofahrer nicht minder schwer: Ein Zusammenstoß mit einem 80 Kilogramm schweren Wildschwein bei Tempo 50 bedeutet ein Aufprallgewicht von etwa zwei Tonnen.
Ein Grund für das hohe Unfallrisiko ist die rasant steigende Verkehrsdichte. Seit 1975 hat sich das Verkehrsaufkommen in Deutschland nahezu vervierfacht: Auf Autobahnen stieg die Zahl der Fahrzeuge pro 24 Stunden auf mehr als 48.000. Auf Bundesstraßen sind es etwa 9.000. Untersuchungen zeigen, dass ab etwa 10.000 Fahrzeugen pro 24 Stunden die Straße eine unüberwindbare Barriere für viele Arten darstellt, selbst für große Tierarten wie Hirsch und Reh. Und: Beim Rothirsch ist bereits Inzucht nachgewiesen worden, weil die Tiere nicht mehr wandern können.
Für bedrohte Arten wie Wolf, Wildkatze und Fischotter ist die Straße sogar Todesursache Nummer eins. „Daher ist Biotopvernetzung so wichtig“, sagt Fischer. Der DJV fordert deshalb die Bundesregierung und die Länder auf, das kürzlich verabschiedete Bundesprogramm Wiedervernetzung zügig mit Leben zu füllen und an den rund 100 bekannten Konfliktstellen so schnell wie möglich Querungshilfen zu schaffen.
Jürgen Kohl
Foto: Kurt Bouda, pixelio.de