Schweinfurt / Hamburg: Die 1981 geborene Schweinfurterin Judith End ist zweifelsfrei eine Erfolgsfrau. Sie studierte Medienkultur, Literatur und Soziologie, schrieb ihre Magisterarbeit, arbeitet heute als Lektorin in einem Hamburger Hörbuchverlag.
2002 kam Tochter Paula zur Welt, die sie alleine erzieht. Und als ob das noch nicht genüg wäre: 2006 bekam Judith End die Diagnose: Brustkrebs. Im Oktober 2010 erschien mit „Sterben kommt nicht in Frage, Mama!“ ihr Buch mit der bewegenden Geschichte dazu.
„Ich habe zunächst nur für mich geschrieben. Schreiben hat etwas sehr befreiendes und therapeutisches. Es war sowohl ein Trost als auch ein Ventil für all die Ängste und negativen Gefühle, die ich hatte und mit denen ich irgendwo hin musste“, erzählt die Tochter des bekannten Schweinfurter Stadtrates Dr. Thomas End heute. „Der Gedanke, dass ein Buch daraus werden könnte, kam erst später. Ich habe mich während meiner Erkrankung oft sehr einsam gefühlt. Nicht, weil ich keine Freunde oder Familie gehabt hätte, die für mich da waren, sondern, weil ich die einzige unter ihnen war, die sterben konnte, die mit der Angst leben musste, vielleicht ihr Kind alleine lassen zu müssen. Auch wenn es heute durchaus eine gewisse mediale Präsenz gibt und das Thema nicht mehr ganz so stark tabuisiert wird, isoliert Krebs jeden Betroffenen immer noch sehr stark. Ich wollte mich mitteilen und erzählen, wie es nicht nur mir, sondern jedem Menschen geht, der mit einer solchen Diagnose leben muss – und das sind nicht wenige. Brustkrebs ist die häufigste Todesursache bei jungen Frauen und jeder dritte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs.“
Das Buch ist als eine Art Tagebuch geschrieben, beginnt an einem grauen Novembertag mit der Diagnose und endet im sommerlichen Juli mit dem Abschluss der Hauptbehandlungen und Judith Ends Sprung zurück ins Leben. Heute sagt sie: „Gesundheitlich geht es mir gut, auch wenn die Behandlungen noch nicht ganz abgeschlossen sind. Ich nehme immer noch ein Medikament im Zuge der Antihormontherapie. Außerdem bekomme ich eine Biphosphonattherapie in Form einer halbjährlichen Infusion. Das alles schränkt mich im Alltag aber kaum mehr ein, so dass ich mich grundsätzlich gesund fühle. Mein Immunabwehr ist nach wie vor nicht die beste, aber alles zusammen sind das nur Zipperlein, mit denen ich gut leben kann. Ich bin heute sehr viel sensibler für die Belange meines Körpers und kann besser einschätzen, wo meine körperlichen Grenzen liegen. Ich versuche einigermaßen schonend mit mir umzugehen, muss ein bisschen mit meinen Energien haushalten, aber kann im Grunde vom Arbeiten bis zum Nächtedurchtanzen wieder alles machen.“
Kann sich das Leben „nach dem Krebs“ wieder normalisieren – oder ist das tägliche Leben verbunden mit Gedanken daran? „Ich denke nicht mehr ständig an die Krankheit und habe auch nicht ständig Angst, dass sie wieder ausbricht. Aber die Bedrohung ist natürlich noch da und aussöhnen kann man sich mit diesem Gedanken auch nicht. Man kann aber lernen, damit umzugehen“, sagt Judith End. „Und je besser einem das gelingt, umso weniger groß ist die Angst im Alltag und man lernt damit zu leben. Ich habe gelernt, dass es gut ist, der Angst, wenn sie kommt, auch Raum zu geben, damit ich sie dann wieder wegpacken kann und sie mich im Alltag nicht ständig verfolgt. Das funktioniert ganz gut. Sicherheit gibt es eben nicht mehr. Aber wer hat schon einen Garantieschein auf morgen? Es ist durchaus wieder Normalität in mein Leben eingekehrt. Auch wenn sich ´normal´ jetzt eben anders anfühlt.“
Ihren Laptop hatte sie schon im Krankenhaus dabei, machte sich immer wieder Notizen. „Vieles habe ich aber auch mit Abstand geschrieben. So ist eine Mischung entstanden aus ganz unmittelbaren Eindrücken und Gedanken und einer reflektierteren Sicht auf die Dinge“, erzählt Judith End. „Ich selbst dachte beim Schreiben immer wieder: Wenn es da draußen eine Handvoll Menschen gibt, die sich nach der Lektüre meiner Geschichte nicht mehr ganz so alleine fühlen, weil sie sich in meinen Gedanken wiedergefunden haben, dann hat es sich schon gelohnt. Ich habe das Schreiben nie als Arbeit empfunden und kann nicht genau sagen, wie viele Stunden ich mich damit beschäftigt habe. Ich habe ja auch immer nur abends oder am Wochenende schreiben können. Bis alles fertig war, hat es vielleicht neun Monate gedauert.“
Im Buch geht es natürlich um das Verarbeiten der Diagnose, um Operation, Therapien, um den Verlust der Haare und einer Brust, um Veränderungen im Leben im Umgang mit der Familie, der kleinen Tochter, mit Männern. „Ich war früher verheiratet mit meinem langen Haar und hätte damals nie gedacht, dass ich es einmal freiwillig kurz tragen würde“, sagt Judith End heute. „Während der Chemo habe ich mir ausgerechnet, wie lange es dauern würde, bis ich wieder so aussehen würde wie vorher. Und dann habe ich festgestellt, dass ich gar nicht mehr die Judith von vorher war und hatte auch kein Bedürfnis mehr, wieder so auszusehen. Es hat sich vor allem in meinem Innenleben viel verändert durch den Krebs. Der lange Zopf ist weg und mit ihm auch die Selbstdefinitionen, die auf irgendeinem wackeligen Fundament aus Eitelkeiten standen. Das möchte und brauche ich nicht mehr. Heute gefalle ich mir mit kurzem Haar jedenfalls besser – und so eine Übergangsfrisur ist ja bekanntlich auch kein Spaß. Das spare ich mir ganz einfach.“
Hamburg soll dauerhaft zur Heimat der Unterfränkin werden. „Ich bin definitiv ein Großstadtmensch und schätze die Vielfalt an Angeboten, die unterschiedlichen Szenen, den besonderen Beat. In Hamburg habe ich alles, was das Herz begehrt: Kultur, Szene, Strand, die Elbe und vor allem viele tolle Freunde und meine Schwester Doro. Momentan zieht mich hier nichts weg und wenn ich nochmal die Stadt wechseln sollte, dann kommt in Deutschland eigentlich nur Berlin in Frage“, sagt die Autorin. „Schweinfurt ist aber meine alte Heimat, dort bin ich aufgewachsen und dort leben meine Eltern, mein Bruder mit seiner Familie und mein Patensohn. Ich bin regelmäßig dort und genieße es immer sehr. Die Kleinstadtruhe, die mich damals fortgetrieben hat, zieht mich jetzt immer wieder hin und mein Elternhaus ist auch immer noch ein Zuhause.“
Pläne hat Judith End: „Ich hoffe sehr, dass es ein zweites Buch geben wird, aber es ist noch nicht konkret. Die Krankengeschichte ist auf jeden Fall zu Ende erzählt, davon wird es keine Fortsetzung geben. Aber das Schreiben gibt mir so viel und macht so viel Spaß, dass ich es nicht mehr missen möchte und in meiner Schublade liegt auch schon mehr als eine Idee.“ Beruflich steht für sie zum Jahreswechsel wohl eine Veränderung an. „Ich bin noch nicht da angekommen, wo ich gerne sein möchte. Wo das genau ist, gilt es noch herauszufinden. Jedenfalls ist auch beruflich ein Relaunch geplant.“ Und irgendwann wieder eine neue Beziehung, die für sie trotz Möglichkeiten während der Krankheit nicht in Frage kam. Auch darüber schreibt Judith End. „Ich bin ganz guter Dinge, dass ich jetzt, wo ich endlich das Gefühl habe, bei mir selbst angekommen zu sein, auch bei jemand anderem ankommen kann.“
Das Buch „Sterben kommt nicht in Frage, Mama“ wurde vom Droemer Verlag herausgegeben und kostet 16,95 Euro. ISBN: 978-3-426-27539-9
Michael Horling