Würzburg: Alarmpläne für Flüsse regeln üblicherweise den Einsatz von Hilfskräften bei großen Schadensereignissen wie Unfällen, bei denen giftige, wassergefährliche Stoffe oder Flüssigkeiten in das Wasser gelangt sind. Nicht so der „Alarmplan für den bayerischen staugeregelten Main – Gewässerökologie“, der dieser Tage seitens der Regierung von Unterfranken eingeführt wird. Der neuartige Alarmplan ist auf wetterbedingte Extremsituationen ausgerichtet – die, zum Beispiel im Sommer, zu kritischen Wasserbeschaffenheiten im Main und einer Schädigung seiner Fisch-, Kleintier- und Pflanzenwelt führen könnten.
Die Abwasser- und Schadstoffbelastung des Mains ist durch die Bemühungen der Kommunen und der Industrie sehr stark zurück gegangen. Es haben sich diesbezüglich ausgesprochen gute gewässerökologische Verhältnisse eingestellt. Dementsprechend sind die robusten, abwassertoleranten Arten zurück gegangen und man trifft heute überwiegend wieder heimische Spezialisten an. Arten, die gegenüber Umweltveränderungen sehr viel empfindlicher sind – Rote Liste-Arten sowie Tiere, die seit dem vorletzten Jahrhundert im Main verschwunden waren. Auch die Algenmassentwicklungen, die das Mainwasser früher gelbbraun oder grün färbten, fehlen heutzutage fast völlig. Der Main ist zwar regentrüb, aber sonst klar. Wasserpflanzen gedeihen dort wie noch nie zuvor.
Das gewässerökologische Gefüge des Mains ist also natürlicher, ausgeglichener, aber deshalb auch – kurz gesagt – sensibler geworden. Wetterbedingte Extremsituationen, wie sie in den letzten Jahren immer wieder im Sommer entstehen, können bedenkliche bis kritische Wasserbeschaffenheiten erzeugen. So etwa durch extreme Hitzeperioden und/oder geringe Niederschläge wie 2003, 2006 oder 2009. In solchen Zeiten sind gerade staugeregelte Flussabschnitte – wie die unterfränkische Mainstrecke – besonders anfällig. Sein träge dahin fließendes Wasser heizt sich sehr schnell auf. Rasch können hohe Wassertemperaturen (im Extremfall bis zu 29 Grad) oder pH-Werte oder geringe Sauerstoffgehalte erreicht werden. In solchen Zeiten ist eine Schädigung seiner Pflanzen- und Tierwelt zu befürchten.
Auf jede weitere Belastung, gleich welcher Art, würde die Biologie des Mains in solchen Zeiten äußerst empfindlich reagieren, so die Regierung von Unterfranken. Deshalb müssen in dieser Zeit alle kommunalen und industriellen Direkteinleitungen auf das Nötigste beschränkt werden. Zur Vorbereitung auf solche Extremsituationen müssen alle Informationen, Messdaten und Beobachtungen verifiziert sein und die Beteiligten rechtzeitig informiert werden.
Dies alles regelt der neue „Alarmplan für den bayerischen staugeregelten Main – Gewässerökologie“ der Regierung von Unterfranken. Bei der Aufstellung wurden die neuesten rechtlichen Vorgaben der EU und der Oberflächengewässerverordnung vom Juli 2011 berücksichtigt. Mit seiner gewässerökologischen Ausrichtung ist dies der erste und aktuellste Alarmplan für ein europäisches Gewässer. Entwickelt wurde der Alarmplan von Dr. Wolf-Dieter Schmidt, dem Gewässerökologen an der Regierung von Unterfranken. Seine dreißigjährige Erfahrung, die er am unterfränkischen Main gesammelt hat, konnte hierbei genutzt werden.
Die Meldungen und Regelungen umfassen die mit dem Main betrauten Behörden des Freistaates in Ober-, Mittel und Unterfranken – wie auch von Baden-Württemberg, Hessen und des Bundes. Ebenso werden die Bezirke mit den Fischereifachberatungen, die Landratsämter, kreisfreien Städte, die direkteinleitenden Industriebetriebe sowie das Polizeipräsidium Unterfranken und das Bayer. Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit eingeschaltet.
Maßgebend für den Ablauf der Meldungen sind die Daten der Wasserwirtschaftsämter Aschaffenburg und Bad Kissingen. Diese werden seit vielen Jahren über kontinuierlich messende Stationen in Kahl (Landesgrenze nach Hessen), in Erlabrunn (unterhalb von Würzburg) und im frei fließenden Main bei Trunstadt (Wasser- und Schifffahrtsverwaltung) gewonnen. Sie stellen im 15-Minuten-Takt und stündlich Messwerte bereit.
Der Alarmplan sieht drei Meldestufen vor.
„Vorwarnung“
bei Sauerstoffgehalten unter 6 mg/Liter, Wassertemperaturen von mehr als 25 Grad im staugeregelten und von mehr als 22,5 Grad in frei fließenden Main, bei Abflüssen von weniger als 45000 Liter pro Sekunde oder bei einer deutlichen Schädigung von Kleinlebewesen sowie Fischen. Im Rahmen der „Vorwarnung“ werden alle Betreiber von Messstationen gebeten, die Messdaten zu überprüfen. Die Wasserwirtschaftsämter führen chemische und biologische Vor-Ort-Untersuchungen durch.
„Warnung“
bei Sauerstoffgehalten unter 5 mg/Liter, Wassertemperaturen von mehr als 26 Grad, pH-Werten von über 8,8 oder bei einer deutlichen Schädigung von Kleinlebewesen sowie Fischen. Alle Landratsämter und unterrichten ihre Gemeinden über die kritischen Verhältnisse im Main. Arbeiten am Gewässer, die zu Belastungen führen – z.B. Schlammbaggerungen – sind einzustellen. Die kommunalen und industriellen Direkteinleiter müssen ihre Einleitungen auf das notwendige Mindestmaß reduzieren. Eine Belüftung über die Turbinen in Kleinostheim wird eingeschaltet.
„Alarm“
bei Sauerstoffgehalten unter 4 mg/Liter, Wassertemperaturen von mehr als 27 Grad innerhalb von zwei Folgetagen oder bei einer deutlichen Schädigung von Kleinlebewesen sowie Fischen. Hiervon werden wieder alle maßgebenden Stellen informiert. Betriebseinschränkungen gemäß Bescheid müssen durchgeführt werden. Die Wasserwirtschaftsämter beraten die Kommunen und Betriebe, wie sie ihre Abwasser- oder Wärmelast reduzieren können. Im Notfall werden die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und die Polizei zum Einsatz kommen.
Die Regierung von Unterfranken betont ausdrücklich, dass der Alarmplan für sich genommen wetterbedingte Folgeerscheinungen im Main nicht verhindern kann. Vielmehr er ist darauf ausgerichtet, bei den Mainanliegern und -nutzern die Sensibilität für gewässerökologisch kritische Situationen zu schärfen. Er soll auch der Öffentlichkeit deutlich machen, dass in diesen Zeiträumen zusätzliche Belastungen massive Schäden verursachen könnten und alle technisch möglichen Frachtreduzierungen sinnvoll sind.
Der Alarmplan steht unter http://www.regierung.unterfranken.bayern.de/aufgaben/6/3/00756/index.html zum Download bereit. Er soll in den nächsten Jahren noch durch einen aktuellen Wärmelastplan und einem Niedrigwasser-Bewirtschaftungsplan ergänzt werden.
Bild: Kontrolle der Kleinlebewesen unter Wasser mit Dr. Wolf-Dieter Schmidt, Gewässerbiologe des biologischen Labors der Regierung von Unterfranken. (Foto: Regierung von Unterfranken)