Aus dem aktuellen SWmagaz.in: Vom Fenster des Zimmers im zweiten Stock seines Geburtshauses konnte man auch am 16. Mai 1788 früh um 6 Uhr auf das gegenüberliegende Rathaus schauen. Vielleicht hat ja die Mutter Maria Barbara, nachdem ihr Erstgeborener auf die Welt gekommen ist, erleichtert hinüber geschaut, auf die Fenster des Türmchens vom Rathaus.
Heute sitzt der Erstgeborene höchstpersönlich ein paar Meter von seinem Geburtshaus entfernt auf seinem Stuhl, den Kopf nachdenklich auf die Hand gestützt, direkt auf das Rathaus gegenüber blickend. Er sitz da schon ziemlich lange, genau seit 1890.
Wer war dieser Johann Michael Friedrich Rückert, den die einen verehren und bei dem die anderen nur mit der Schulter zucken? Lohnt es sich mit diesem Menschen zu beschäftigen?
Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen, ja es lohnt sich sehr. Je tiefer man einsteigt in sein Leben, desto spannender werden die Fakten. Es gibt rund 20.000 Gedichte von ihm, viele Bücher und Übersetzungen und alles ist keine leichte Kost. Seine Werke sind erforscht, registriert und nummerriert. Dr. Uwe Müller, der Leiter des Stadtarchivs Schweinfurt, ist Herr über einen riesigen Berg Handschriften, die sicher ausreichen würden eine ganzes Rückert-Gedenkzentrum mit interessanten Exponaten zu füllen.
Was war Rückert für ein Mensch, wie muss man sich vorstellen wie er gelebt hat? Einer, der das ganz genau weiß, ist Dr. h.c. Rudolf Kreutner. Ihm haben wir die Daten und Fakten zu verdanken, um dieses Bild hier von Rückert zu entwickeln.
Der einzige Weg, sich Friedrich Rückert zu nähern, führt tatsächlich über seine Werke, so sagt uns Rudolf Kreutner. Alles, was er je geschrieben hat, ist letztendlich sehr stark autobiographisch.
Zunächst einmal war Friedrich Rückert ein Phänomen, er war unheimlich intelligent, hatte eine sagenhaft schnelle Auffassungsgabe und war ungeheuer fleißig. Zum Erlernen einer Fremdsprache und der dazugehörigen Schrift hat er nicht länger als ein viertel Jahr gebraucht. Er hat es in seinem Leben tatsächlich auf 44 Sprachen und 25 Schriften gebracht. Heute würde ihm das sicher tausend Interview-Anfragen und einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde einbringen. Wenn man nachrechent, hat Friedrich Rückert alleine elf ganze Jahre seines Lebens mit dem Erlernen von Sprachen verbracht. Rückert ist täglich mit den Hühnern aufgestanden und bei Dunkelheit ins Bett gegangen. Den einzigen Luxus, den er sich geleistet, hat war sein Mittagsschlaf und den Spaziergang danach.
Er liebte die Natur
Rückert war sehr naturverbunden, er konnte mit der Natur besser als mit den Menschen. Er war zweifelsohne ein schwieriger Mensch. Sein Vertrauen zu erwerben und Zugang zu ihm zu finden war nicht einfach. Wer diesen Zugang gefunden hat erlebte ihn sehr offen. Es hat aber sehr lange gedauert bis er die Anlaufschwierigkeit überwunden und sich geöffnet hat. Rückert war schnell beleidigt, es genügten ein paar falsche Worte und er wand sich ab, er war sehr schnell mit anderen zerstritten, oft wegen Kleinigkeiten. Manchmal hat er eingesehen, dass Haarspaltereien um Kleinigkeiten nicht sehr sinnvoll sind. Rückert war sehr eigenwillig, seine Gedanken haben meistens die ganze Welt umfasst, für einzelne Individuen war in seinem Kopf wohl wenig Platz und vor allem auch wenig Zeit. Er hat bei jeder Diskussion tief in kulturelle Fragen verstiegen und war mir seiner Meinung sehr beharrlich.
Er wollte fremde Kulturen verstehen
Rückert hat die Grundlagen der Weltliteratur gelesen und übersetzt. Er hat sich mit diesen Grundlagen intensiv auseinander gesetzt. Vom finnischen Nationalepos ‚Kalevala‘ über das ‚Neue Testament‘, die Bibel über den Koran bis zum indischen Nationalepos ‚Mahabharata‘ zum persischen Nationalepos ‚Schahname‘, das Königsbuch. Die Wörter zu übersetzen war ihm zu wenig, er wollte auch die Inhalte verstehen und hat sie interpretiert. Intensiv hat er sich mit den fremden Kulturkreisen auseinandergesetzt, hat sein Leben lang geforscht, um die Kulturen zu verstehen.
Seine ‚Mutterstadt‘
Bis zu seinem Lebensende hat Rückert mit dem Namen seiner ‚Mutterstadt‘, das Wort ‚Vaterstadt‘ hat er nie gebraucht, gehadert. Mutterstadt deshalb, weil nur seine Mutter gebürtige Schweinfurterin war. Laut Taufregister der Pfarrei St. Johannis erblickte Johann Michael Friedrich Rückert am 16. Mai 1788 früh um 6 Uhr das Licht der Welt, um unverzüglich zu Hause getauft zu werden. Eine eher kleine Tafel erinnert heute am Markt an das Geburtsgeschehen im zweiten Stock. Seine Eltern waren der Advocat Johann Adam Rückert und Maria Barbara geb. Schoppach.
Die Schoppachs waren ein alteingesessenes Ratsgeschlecht und die Oma von Friedrich Rückert, Sabine Barbara Schoppach, geb. Stör, eine stadtbekannte Skandalnudel.
Die Oma sorgte für Wirbel
Erst ist ihr nach acht Jahren Ehe der Mann davon gelaufen, dann hat sie sich einen jungen Juristen angelacht, sein Name war Johann Friedrich Schoppach. Gleich darauf hat sie eine uneheliche Tochter geboren, Maria Barbara, die Mutter von unserem Friedrich Rückert und den Erzeuger wieder davon gejagt. Ohne Kerl wollte sie nicht bleiben und hat dann einen noch jüngeren geheiratet, gesellschaftlich hat die Großmutter schon für Wirbel in der Stadt gesorgt. Die Schweinfurter haben sich das Maul zerrissen über die Schoppacherin. Als dieser Jüngere, Johann Philipp Till hieß der Gute, bei einem Duell ums Leben kam, hat sich die Oma den ursprünglichen Kindsvater wieder ins Bett geholt, um ihn dann richtig zu heiraten.
Die Lage hatte sich beruhigt und die Zeit ist ins Land gegeangen. Die Mutter von Friedrich ist in gut situierten Verhältnissen aufgewachsen und hat am 14. Juli in Oberndorf den aus Hildburghausen stammenden Hofadvokat Johann Adam Rückert geheiratet. Mit der Geburt von Friedrich war die Familie erst einmal komplett.
Der Umzug
Das Geburtshaus von Friedrich Rückert hat die klevere Oma schon lange vor dem Geburtstermin an einen Schweinfurter Kaufmann verkauft. Die Familie hatte nur noch Wohnrecht und so sind sie allesamt noch 1788 umgezogen, in das Haus am Markt Ecke Zehntstraße (heute Zehntstraße 1), also Großmutter, ihre Tochter aus zweiter Ehe, Sophie Till, Rückerts Mutter Maria Barbara und der Vater Rückerts, Johann Adam Rückert. Der Hofadvokat ging in diesem Hause seinen anwaltliche Geschäften nach.
5000 Einwohner und 40 Anwälte
1788 hatte die Stadt Schweinfurt rund 5.000 Einwohner. Vierzig Anwälte buhlten um die Gunst der Mandanten. Man kann sich vorstellen, dass in dieser Situation untereinander mit harten Bandagen um die Kunden gekämpft wurde. Der Advokat wartete in seinem Büro Ecke Zehntstraße vergeblich auf Mandanten. Geschäftlich brachte der ‚Neigschmeckte‘ aus Hildburghausen wohl keinen Fuß auf den Boden.
Die Familie ist in der Zwischenzeit gewachsen, Friedrich Rückerts einziger Bruder namens Heinrich und die Schwester Sabine Sophie kamen noch dazu, Grund für den Advokaten sich nach einer stabilen Erwerbsquelle umzusehen. Fündig wurde er in Oberlauringen und trat 1793, der kleine Friedrich war gerade mal fünf geworden, einen festen Job als Amtmann am freiherrlich Truchseß’schen Justiz- und Kameralamt an. Damit waren die Einkommensverhältnisse geklärt und die Familie ist nach Oberlauringen umgezogen.
Oberlauringen, Lebensmittelpunkt
Amtmann war ein guter Job. Ein Amtmann war so etwas wie der Verwaltungschef eines Gutshofes mit den dazugehörigen Dörfern und Burgen. Er war auch der Steuereintreiber seines Dienstherren, er war Richter und sorgte mit einer kleinen, meist bewaffneten Einheit für Sicherheit und Ordnung. Für diese Zeiten und in der Provinz bekam Vater Rückert ein ordentliches Grundgehalt, das dazu mit vielen Privilegien versüßt wurde. Die Rückerts waren nicht wie manchmal behauptet wird arme Leute, sie gehörten zur gehobenen Mittelschicht. Damit war es auch möglich neben der Dorfschule den Kindern auch noch Privatunterricht angedeihen zu lassen, eine allgemeine Schulpflicht gab es damals nicht. Der erste Lehrer von Friedrich war Johann Nikolaus Hellmuth. Die Schulzeiten waren gewöhnungsbedürftig, im Sommer von 6-9 und im Winter von 7-10 Uhr. Da war für die Kinder früh aufstehen angesagt. Sehr zum Ärgernis des Dorfpfarres Stepf wurden die Kinder zu den Treibjagden der hohen Herren abkommandiert, da viel die Schule aus. Oder wenn die Lehrer Büroarbeiten im Schloss oder im Rathaus verichten mussten, die Lehrer waren natürlich des Schreibens mächtig, ist die Schule einfach ausgefallen.
Glück für den kleinen Rückert
Pfarrer Johann Kaspar Stepf war für den kleinen Friedrich ein Glückstreffer. Der Pfarrer ist in Oberlaurigen geblieben, obwohl er einen viel besseren Job als Professor in Göttingen hätte haben können. Auch die Freie Reichsstadt Schweinfurt wollte ihn als Stadtpfarrer haben. Stepf ist hartnäckig in Oberlaurigen geblieben und hat den Kindern aus Spaß und zum Hobby Griechisch und Latein gelehrt, nicht nur den Amtmannkindern sondern auch den Dorfkindern. Friedrich war ein sehr gewissenhafter Schüler, er hatte eine Vorliebe für schön gestaltete Schriften. Seine Tinten machte er sich aus roten Rüben und grünen Beeren selber. Wenn dann seine Lehrer einen Fehler fanden oder irgendeine Bemerkung an den Rand kritzelten, rastete er aus. Er wollte nicht, dass seine kunstvolle Kalligraphie beschädigt wurde.
Die Familie wurde immer größer
In Oberlauringen kamen noch Schwester Anna Magdalena, Ernestine Helene und Susanna Barbara dazu, das Wort kinderreich war noch nicht erfunden. Das Sprachtalent Friedrich lernte bei Pfarrer Stepf schnell. Die Literatur, in die er sich früh vertieft hat, haben ihm auch die Pfarrer zur Verfügung gestellt, unter anderem der Pfarrer von Großbardorf. Die Grundlagen seiner umfangreichen Bildung sind in Oberlauringen gelegt worden. Carl August Truchseß von Wetzhausen war ein kleiner ‚Sonnenkönig‘, so wird er jedenfalls in der Chronik von Oberlauringen beschrieben. Er ließ Pfänderspiele mit den Dorfmädchen veranstalten, liebte seine Hunde mehr als alles andere und bezahlte seine Untertanen schlecht. Vater Rückert stand immer dazwischen und seine Sympathie galt wohl eher den Untertanen. Die völlige Ausbeutung, wie vom Dienstherren befohlen, konnte er mit seinem Gewissen wohl nicht vereinbaren.
Nach Schweinfurt ins Gymnasium
Um zur höheren Bildung zu kommen, ging am Gymmasium kein Weg vorbei. Das Schweinfurter Gustavianum war zwar damals nicht so recht offiziell, aber die einzig erreichbare höhere Schule, die einzige Wahl als Verkehrsmittel die Kutsche. Und so hat den Friedrich wohl ein Fuhrmann mit nach Schweinfurt kutschiert. Der Schüler musste im angeliederten Internat ein Zimmer beziehen. Die Gymnasien boten zu dieser Zeit nur die letzten drei Abschlussklassen an.
Seine schulische Laufbahn am Gymnasium Gustavianum in Schweinfurt beendete der Schüler Friedrich Rückert am 4. Oktober 1805 mit dem Absolutorium, heute würde man sagen Abitur und sehr guten Abschlusnoten, vor allem in den Sprachen. Es hätte nach heutigen Maßstäben sicher für eine öffentliche Belobigung gereicht.
Am 9. November1805 lässt sich Rückert an der Universität Würzburg als Student der Jurisprudenz einschreiben. Er wohnte in der Kapuzinerstraße 34 und hatte einen echten Kumpel, den Medizinstudenten Christian Stockmar.
Rückert belegte neben Jura auch die Fächer ‚Griechische Mythologie‘ und ‚Naturphilosophie‘ und Rückert hörte in Würzburg erstmals Vorlesungen über die Hebräische Sprache, das war offensichtlich die Initialzündung in Sachen Schriften.
Ende des Jahres 1811 geht Friedrich zusammen mit seinem Bruder Heinrich nach Jena. Am 20. Februar legt er sein Promotionsexamen ab mit anschließender spektakulärer Disputation, in der Rückert auf die orientalischen Ursprünge des griechischen Geisteslebens verweist. Im darauffolgenden Wintersemester 1811/12 wurde er Privatdozent.
Es entsteht der Zyklus ‚Aprilreiseblätter‘ und er befasst sich mit ersten dramatischen Versuchen. Irgendwie ist ihm der Universitätsbetrieb auf den Geist gegangen und am 16. April 1812 verdrückt er sich aus Jena, ohne Vorlesungsvorschläge für das Sommersemester zu machen und lässt sich heimkutschieren, zu seinen Eltern. Die ganze Familie hat es in der Zwischenzeit nach Ebern verschlagen.
In die Mythenforschung hineingewachsen
Es war die Zeit der Mythenforschung in der die Generation des jungen Rückert hineingewachsen ist. Die Gebrüder Grimm haben die deutschen Mythen neu aufgelegt. Die Deutschen haben sich gerade in dieser Zeit der Romantik viele Gedanken um ihre eigene geistige Vergangenheit gemacht.
Eine kleine Elite mit klassischer Bildung war mit der Mythenwelt des Altertums vertraut. Alle diese Leute waren große Individualisten, erklärt uns Rudolf Kreutner.
Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts war unter den Gebildeten Sanskrit, also Altindisch, in Wort und Schrift groß in Mode. Man könnte es damit vergleichen, dass heute jeder einigermaßen Gebildete Englisch können muss. Anders als bei der englischen Sprache, hatte kaum jemand die Gelegenheit Sanskrit praktisch anzuwenden, aber man konnte damit sehr schön die eigene geistige Leistungsfähigkeit demonstrieren.
Fremde Sprachen und Schriften
Das Erlernen einer solch ausgefallenen Sprache wurde wohl als eine Art Denksport verstanden, hochgeistiges Entertainment. Die Mystik, der Mythos einer Kultur, hat die Leute interessiert, auch Friedrich Rückert. Alle waren fasziniert von der griechischen Götterwelt. Rückert ist später auch bei den Zusammenhängen von griechischer, persischer und indischer Götterwelt gelandet. Er hat klar geographische und sprachliche Zusammenhänge erforscht und erkannt.
Die Zeit der großen Patrioten
Allesamt waren die Menschen zu dieser Zeit große Patrioten. Mit dem Untergang Napoleons ist dieser Patriotismus verfolgt und unterbunden worden. Fremde Sprachen waren so etwas wie Geheimsprachen der Gebildeten und dienten auch der Kommunikation untereinander. In fremden Sprachen haben sie alles aussprechen können, was sie in Deutsch aus Angst und angeborenem Respekt vor der Obrigkeit sich nie getraut hätten zu sagen.
Im Wirtshaus ‚Auf der Specke‘ in Eyrichshof bei Ebern lernt er die Wirtstochter Maria Elisabeth Geuss, die er Marielies, nannte kennen. Ihr widmet er den Gedichtkranz ‚Amaryllis, ein Sommer auf dem Lande‘; in der zweiten Strophe steht:
Wohlauf, mein Herz, laß deine Blicke schweifen
Nach Blumen, die auf allen Fluren winken!
Landmädchen sind‘s, zur Rechten und zur Linken
Stehn sie geputzt; nach welcher willst du greifen?
Irgendwie musste es ja weitergehen …
Rückert wird Lehrer in Hanau
‚Hotel Mama‘ schien kein Dauerzustand und Rückert fand eine Anstellung als Lehrer am Gymnasium von Hanau. Lehrer war nicht sein Traumberuf und er flüchtete aus Hanau recht schnell. In den historischen Daten steht: Rückert verlässt am 21. Januar 1813 Hanau fluchtartig.
Er lernt die ‚Tafelrunde‘ des Christian Truchseß von Wetzhausen auf der Bettenburg kennen. Männer wie Jean Paul, Heinrich Voß d. J., Friedrich de la Motte Fouqué und Gustav Schwab gehörten dazu. Beeinflusst von den politischen Gesprächen entsteht die ‚Geharnischten Sonette‘ gegen die Herrschaft Napoleons und um auch für die Familie dichterisch mal was Gutes zu tun, die ‚Fünf Märlein zum Einschläfern für mein Schwesterlein‘.
Rückert bei der Zeitung
Weil Rückert immer auf der Suche war nach seiner Intelligenz und seinem Geiste entsprechenden Aufgaben, übernahm er auf Vermittlung seines Freundes Karl August von Wangenheim bei Friedrich von Cotta in Stuttgart einen Job als Redakteur beim ‚Morgenblatt‘.
Aus Kleidung und Äußerlichkeiten hat er sich nie etwas gemacht. Herumgelaufen ist er mit langen Haaren und die Kleidung wird von den Historikern als revolutionär bezeichnet. Eine Ausweisung aus dem Königreich Württemberg konnte nur mit Not und der Fürsprache von Freund Wangenheim und dem Kronprinz Wilhelm verhindert werden. Solche Typen wollte man im Königreich nicht haben.
Reisen bildet
Wie schon in vielen Fällen vorher hat ihm diese Aufgabe bei der Zeitung keinen großen Spaß gemacht und Friedrich Rückert ist erst einmal auf Reisen gegangen. Es war gerade der schöne Hochsommer 1817, beste Zeit für eine Italienreise. Die Reisen haben zu dieser Zeit etwas länger gedauert und eilig hatte es Rückert ohnehin nicht. Über Zürich und Luzern kam er Ende September in Rom an. In einem Kreis deutscher Künstler lernte er seinen ‚Freund und Kupferstecher‘ Carl Barth kennen. Die Freundschaft der beiden hielt ein Leben lang. Im folgenden Frühjahr trifft er auf den bayerischen Kronprinzen Ludwig, dem späteren König Ludwig I., das war der Durchbruch des Dichters in die allerhöchsten Gesellschaftsschichten. Besuche in Neapel, auf Capri und in den Albaner Bergen durften auf seiner Reise nicht fehlen.
Der umtriebige Rückert hatte genug gesehen, er wollter weiter. Wien war sein nächstes Ziel. Joseph von Hammer in der Donaustadt führte ihn ein in die Welt der orientalischen Sprachen.
Zurück in die Heimat
Irgendwann geht die schönste Reise zu Ende und Friedrich Rückert kehrte wieder heim in sein Elternhaus in Ebern. Angesteckt von Wien begann er intensiv mit seinen Studien der orientalischen Sprachen. Rückert war mit seinen Studien auf Bibliotheken angewiesen. Er zog nach Coburg, um schneller auf die Schätze der herzoglichen Hofbibliothek zugreifen zu können.
Die Heirat
Gewohnt hat er im Haus der Familie von Luise Wiethaus-Fischer und hat sich auch gleich verliebt. Seiner Liebe zu ihr hat er ein ganzes Buch gewidmet, die Gedichtsammlung ‚Liebesfrühling‘.
Am 26. Dezember 1821 heiraten die beiden. Es wird gesagt, Rückert hat wohl kalkuliert eine reiche Frau geheiratet.
Der Grundstock zur Großfamilie
Am 14. Februar 1823 kommt in Coburg der erste Sohn Heinrich zur Welt, er wird Germanist. Dann geht es Schlag auf Schlag, es kommt der zweite Sohn Karl, der später Arzt wird, der dritte Sohn August, der später das Gut Neuses bewirtschaftet. Frau, Haus, Söhne war erledigt, fehlte nur noch der große Durchbruch. Der kam mit ‚Makamen des Harari‘, ein Hauptwerk Rückerts. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1826 wird Rückert ‚zum ordentlichen Professor der orientalischen Sprachen‘ an der Universität Erlangen ernannt. Gleich darauf kam der vierte Sohn Leo, der wird später Landwirt.
Berufung zum Professor
Die Familie zog nach Erlangen, zunächst in die Dreikönigstraße 1-3, dann aber, man brauchte Platz, in ein neues Domizil in der Goethestraße.
Karrieretechnisch betrachtet war Rückert ohnehin ein Spätzünder. Seinen ersten festen Job bekam er mit 38. Vorher jobte er als Freiberufler, lebte von Einkünften aus seinem dichterischen Werk.
Die Mär vom armen Professor
mit seinen 10 Kindern stimmt nicht. Rückert hat immer genug verdient, um sich und seiner immer größer werdenden Familie bürgerliches Leben in gesichertem Wohlstand zu ermöglichen.
Sein Grundgehalt von1200 Gulden im Jahr an der Uni in Erlangen scheint nach heutigen Maßstäben nicht sehr hoch. Aber als Professor hat viele soziale Zusatzleistungen bekommen.
Das waren Deputate in Form von Brennholz, Weizen und Kerzen z.B.
Das ist ungefähr so, wenn heute einem Angestellten zu seinem Gehalt die Heizung daheim bezahlt, Grundnahrungsmittel gestellt und zur Stromrechnung auch noch die Miete beglichen würde.
Alleine das Rückertsche Grundgehalt war das Vierfache von dem, was ein Handwerksgeselle verdient hat und der bekam keine Deputate zusätzlich.
Am 4. Januar 1829 wird der fünfte Sohn Ernst geboren. In diesem Jahr entsteht auch der Gedichtzyklus ‚Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannsohnes‘, die Erinnerungen an seine Kindheit in Oberlauringen. Im Jahre seines nächsten Wohnungswechsels in Erlangen, 1830, wird auch die erste Tochter der Rückerts geboren, Luise. Am 6. Januar 1832 folgt die Geburt des sechsten Sohnes Karl Julius, der aber nur drei Tage lebte.
Die Kinder werden krank
Im November 1833 erkranken alle Rückert-Kinder am Scharlach. Das Töchterlein Luise stirbt am 31. Dezember. Die Medizin hatte dem Scharlach noch nichts entgegenzusetzen. Penicillin wurde erst 1929 entdeckt. Die Kinderkrankheit war eine häufige Todesursache. Am 16. Januar starb auch der vierjährige Ernst.
Betroffen von diesen Ereignissen verfasste Rückert die ‚Kindertodtenlieder‘ die später Gustav Mahler vertont wurden.
Nun will die Sonn‘ so hell aufgehn,
Als sei kein Unglück die Nacht geschehn!
Das Unglück geschah nur mir allein!
Die Sonne, sie scheinet allgemein!
Du musst nicht die Nacht in dir verschränken,
Musst sie ins ew‘ge Licht versenken!
Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt!
Heil sei dem Freudenlicht der Welt!
Sein erster Band der ‚Gesammelten Gedichte‘ erschien und sollte bis 1838 auf sechs Bände anwachsen. 1836 machte sich Rückert wieder auf die Reise. Über München, Salzburg, Tirol, ins das bayerische Alpenland führte sein Weg. In Schloss Hohenschwangau besucht er den bayerischen Kronprinzen Maximilian. Rückert war schon eine Brühmtheit. Mit seinem großen Lehrgedicht ‚Die Weisheit des Brahmanen‘, das in sechs Bänden bis 1839 erschien, setzte er einen Meilenstein in der Literatur. König Ludwig I. verleiht ihm das ‚Ritterkreuz des Königlichen Verdienst-Ordens vom heiligen Michael‘. Der Professor kann von seiner verwitweten Schwiegermutter das Gut ‚Nattermannshof‘ in Neuses bei Coburg erwerben und die Familie hatte eine standesgemäße Bleibe.
Berufung nach Berlin
Im März 1841 kam ein Brief aus Berlin mit einem sehr vorteilhaften Angebot. Es war der Ruf als Professor der orientalischen Sprachen an die Universität Berlin. Seinen bisherigen Dienstherrn, König Ludwig I. von Bayern, bittet Rückert um seine Entlassung. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. ernennt ihn zum Geheimen Regierungsrat und Professor der orientalischen Sprachen. Rückert trifft am 3. Oktober mit Sack und Pack in Berlin ein.
Der Taler rollt
In Berlin wurde er richtig fürstlich entlohnt. Die Gebrüder Grimm haben zum Vergleich zu zweit 3.000 Taler im Jahr Gehalt bekommen. Auf der Gehalts-Abrechnung für Friedrich Rückert stand diese Gage für ihn alleine. Ein Minister des Preußenkönigs hatte ein Salär von 1200 Taler, Rückert mehr als das Doppelte. Ein investigativer Zeitungsschreiber hat das herausgefunden und die Blätter Berlins haben dies veröffentlicht.
Wenig Arbeit für viel Geld
Nicht nur die Berliner haben sich das Maul zerissen über eine solche Gage. Zumal Rückert dafür nur das halbe Jahr hatte arbeiten müssen, das andere halbe Jahr machte er Urlaub. In seinem Vertrag stand, dass er nur jeweils ein Wintersemester zu halten hatte, den Sommer über war für ihn Urlaub, zum Bestellen der Gärten. Auf großem Fuß hat der Familienvater Rückert aber nie gelebt, er lebte immer sehr bescheiden und hat sein Geld für seine Kinder gespart.
Gradnaus und direkt
Von sich und seiner Person hat er nie viel Aufhebens gemacht. Seine Manieren waren zeit seines Lebens immer sehr bäuerlich. Feinsinnigkeit war privat nicht sein Ding. Rückert hat immer ‚gradnaus‘ gesagt was er denkt, er hat nie um die Dinge herumgeredet. Äußerlichkeiten, Kleidung oder das höfische ‚Getue‘ waren ihm zuwider. Er hat auch am Königshof in Berlin den fränkischen Bauern gegeben und sich absichtlich nicht auf die gekünstelten Manieren der feinen Gesellschaft eingelassen. Es ist belegt, dass er sich bei Tisch provokant mit beiden Ellenbogen am Tisch aufgestützt hat, auch bei großer Tafel.
Rückert wird Privatier
Die warme Jahreszeit verbringt er auf seinem Gut in Neuses, lässt sich das Dichterhäuschen bauen auf dem Goldberg. Schreibt, dichtet und denkt wie besessen, gönnt sich außer seinem ‚heiligen Mittagsschlaf‘ kaum Pausen, weist prominente Besucher ab, weil er auf Konversation gerade keinen ‚Bock‘ hatte oder weil er sich seine Tagesabläufe durch nichts und niemanden stören lassen wollte. Im Herbst 1846 meldet er sich in Berlin krank, er hatte keine Lust mehr den Professor an der Uni zu spielen. Seine Freude daran war ohnehin nicht sehr ausgeprägt. Er legte seine Vorlesungen bevorzugt in die frühen Morgenstunden, für ihn kein Problem, aber für seine Studenten. Nur die Allerwenigsten waren bereit früh um sechs Uhr eine Vorlesung zu besuchen. Mit diesem Trick hatte er auch dann im Hörsaal meist seine Ruhe. Man hat ihn dann auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt.
Harte Schicksalsschläge
Im September 1853 stürzt sich der ‚alte Freund und Kupferstecher‘ Carl Barth zu Tode. Am 28. November ernennt König Maximilian II. von Bayern Rückert zum Mitglied des ‚Maximilian-Ordens für Wissenschaft und Kunst‘. Im Jahre 1857 trifft Rückert ein schwerer Schicksalsschlag, seine Frau Luise stirbt am 26. Juni nach schwerem Leiden.
Rückert wird Ehrenbürger
Die Stadt Schweinfurt ernennt ihn am 15. April 1865 zum Ehrenbürger und Kaiser Maximilian von Mexiko überreicht das ‚Commandeur-Kreuz des Ordens Unserer Lieben Frau von Guadalupe‘, bekommt den ‚Pour le Mérite für Wissenschaft und Kunst‘ und wird mit vielen anderen Auszeichnungen überhäuft.
Bei einem Ordensfest, auf dem sich alle Jahre die Ausgezeichneten zu einem munteren Plausch trafen, fehlte eben dieser Orden an der Brust Rückerts. Angesprochen von seinem Freund Alexander von Humboldt, wo er denn seinen Orden gelassen habe, erzählte Rückert geraderaus, er habe das schöne blaue Band seiner Frau als Haubenband spendiert, seinen Orden kramte er aus der Hosentasche.
Am 31. Januar 1866 gegen 10 Uhr 45 starb Friedrich Rückert in seinem Haus in Neuses. Unter großer Anteilnahme wurde am 3. Februar zu Grabe getragen.
von Jürgen Kohl – jkohl@revista.de
aus dem aktuellen SWmagaz.in: http://swmagaz.in/swmagaz-in-ausgabe-05-2012