Schweinfurt: Vom 18.6. bis 19.9. ist in der Kunsthalle Schweinfurt (Große Halle) die Ausstellung „Totale“ der Stuttgarterin Ingrid Hartlieb zu bewundern.
Eröffnung Donnerstag 17. Juni 2010, 19 Uhr. Einführung Prof. Dr. Tilman Osterwold,
Zur Künstlerin
Die in Stuttgart lebende Ingrid Hartlieb (geb. 1944 in Reichenberg/CR) ist eine der herausragenden zeitgenössischen, international agierenden Bildhauerpersönlichkeiten in Süddeutschland. „Von der Bruchstückhaftigkeit des Erfassens der Welt, von der Unmöglichkeit die Ganzheit der Welt darzustellen, bzw. nur den Bruchteil der darin angelegten eigenen Existenz zu fassen“, handelt ihre Arbeit, so sie selbst.
Die Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt führen in der im Mai 2009 eröffneten neuen Kunsthalle ihr erfolgreiches Konzept fort, wichtige bildhauerische Positionen im zeitgenössischen Kunstschaffen zu dokumentieren. Dies konnte in den vergangenen Jahren beispielsweise mit Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff (1998), Lothar Fischer (2001), Bernhard Heiliger (2007) oder Rudolf Wachter (2008) realisiert werden, um so die Vermittlung von zeitgenössischer Bildhauerkunst nicht nur in der Dauerpräsentation, sondern zugleich im Bereich der Wechselausstellungen zu ermöglichen.
Das bevorzugte Material der Künstlerin Ingrid Hartlieb ist Holz, ein Werkstoff, der naturbedingt stets in Bewegung ist und einem merklichen Alterungsprozess unterliegt. Die Bildhauerin arbeitet mit unterschiedlichen, dadurch farblich akzentuierten Holzarten, die sie in Form von Balken, Bohlen und Brettern zu Blöcken schichtenweise verleimt und mit der Kettensäge modelliert, um die gewünschte Form heraus zu schälen. Neben der räumlichen Präsenz entwickeln ihre unnachahmlichen, von Gerätschaften inspirierten Holzobjekte hoch ästhetische Oberflächenreize, indem sie ihnen zusätzlich eine Patina aus Pigment und Wachs gibt. Diese schützende und konservierende Epidermis verwandelt die Holzobjekte in zeitlose Artefakte. Ihre Holzkörper nehmen im Raum einen existenziellen Standpunkt ein und sind dabei kraftvoll wie suggestiv zugleich. Ingrid Hartlieb betitelt ihre Werke eher mit vertrauten Bezeichnungen, die es dem Betrachter ermöglichen, spontan Assoziationen zu seiner eigenen Erfahrungswelt zu knüpfen. „Abstandhalter“, „Turm“ oder „Nische“ verbindet man mit architektonischen Strukturen, so verweisen Titel wie „Räderwerk“, „Pendel“ oder „Spindel“ auf Werkzeuge, die Ingrid Hartlieb ad absurdum führt. Wird ein Pendel etwa unter dem Einfluss der Schwerkraft in Schwingungen versetzt oder eine Spindel beim Spinnen des Fadens in kontinuierliche Rotation, so verharren die Gerätschaften der Bildhauerin schon aufgrund ihres Gewichtes in einer Ruheposition. Bewegung und damit eine zeitliche Dimension sind den Arbeiten von Ingrid Hartlieb dennoch zueigen. Zum einen durch den ringförmigen Aufbau der charakteristischen sich abwechselnden Holzschichten, denen sie mit der Kettensäge mal sanft geglättet mal kantig Form gibt, zum anderen durch die spezifische Struktur dieser hölzernen Sedimente, die nicht von ungefähr an Jahresringe erinnern und damit auch als Metapher auf Entstehen und Vergehen gedeutet werden können.
Die Frankfurter Schriftstellerin Ria Endres greift in ihrem Katalogbeitrag diesen Widerspruch zwischen Sein und Schein im künstlerischen Alphabet von Ingrid Hartlieb auf und schreibt auf die ehemalige Funktion der Kunsthalle als Hallenbad anspielend aus der Beobachtung einer Schwimmerin heraus, „… die in dieser einzigartigen Theaterkulisse nicht mehr schnell ihre Bahnen ziehen kann, sondern in einer Art meditativem Trockenschwimmen die Objekte umkreist, entsteht eine ganz ungewöhnliche Atmosphäre; Gedankenspiele und Phantasiespiele greifen ineinander, wenn man sich auf den Raum und die Imaginationskraft der Skulpturen einlässt.“
Die auf dem Boden der ehemaligen Schwimmhalle positionierten Holzobjekte werden in einem spannenden Dialog mit wenigen, großformatigen Zeichnungen an den hohen Wänden inszeniert. Die expressiven Hell-Dunkel-Kontraste der plastischen Arbeiten können so im Auge des Betrachters in einen Diskurs mit den fast spröden, jedoch zugleich ernorm räumlich anmutenden Ölstiftzeichnungen im Sinne von Entwurf und ausgeführtem Artefakt treten. Dieser Diskurs ermöglicht zugleich den Blick auf eine „Totale“ – so der Ausstellungstitel – des künstlerischen Schaffens von Ingrid Hartlieb.
Kuratoren: Andrea Brandl M.A. und Dr. Erich Schneider
Museumspädagogisches Begleitprogramm:
„Halbzeit“: 22. 7. 2010, 19 Uhr Künstlergespräch mit Ingrid Hartlieb
„Diskurse“: 9. 9. 2010, 19 Uhr „Von der Skulptur zum Objekt. Bildhauerei in Deutschland seit 1945“ Vortrag von Dr. Marc Wellmann, Georg-Kolbe-Museum Berlin
Kunsthalle Schweinfurt:
info@kunsthalle-schweinfurt.de
www.kunsthalle-schweinfurt.de
Öffnungszeiten:
Täglich: 10.00 – 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 – 21.00 Uhr
Montags geschlossen
Führungen unter Tel. + 49 (0)9721-51 215 MuSe
Parkplätze finden Sie bei Galerie Kaufhof, Jägersbrunnen 11, ECE-Center, Gunnar-Wester-Straße 10, (beide nur bis 20 Uhr geöffnet) und auf dem Messeparkplatz zwischen Kunsthalle und Theater der Stadt.
Fotos: Peter Leutsch