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Neuinszenierung

vom 01.05.2013 - 19:05 Uhr

Schweinfurt: Die Leidensgeschichte Jesu kennt jeder. Anfang und vermeintliches Ende sind jedem Schulkind geläufig, aber erzählen kann man sie so oder so. Gerade diese älteste Geschichte der Christenheit hat es verdient, dass sie heute anders erzählt werden muss, als zu Großmutters Zeiten. Vor allem dann, wenn es ein Anliegen ist, die vielen Botschaften, die in dieser Geschichte mehr oder weniger versteckt sind, heraus zu arbeiten und den Gefühlen der Menschen zugänglich zu machen. Die beiden Theaterpädagogen, Marion Beyer und Hermann J. Vief, haben sich dieser Mammut-aufgabe angenommen. Zum Abschneiden ‚alter Zöpfe‘ gehörte auch, dass die Regisseure alle Rollen, mit zwei Ausnahmen, neu besetzt haben. Anfangs keine leichte ‚Kröte‘, die die engagierten Laiendarsteller zu schlucken hatten. Mitten in den Proben befragt, findet dieser Einschnitt breite Zustimmung.

MarionBayerKostümanlegen

?Jeder kennt die Geschichte vom Leben Jesu, kann man die Geschichte auch anders erzählen?

 

Marion Beyer: Die Geschichte kann man nicht verändern, man kann die Geschichte aber anders erzählen. Spannend und so, dass sie die Menschen berührt.

 

 

? In den Gesprächen hat man mitbekommen, fast niemand hat die Rolle bekommen, die er früher gespielt hat. Warum?

 

Hermann J. Vief: Wenn Leute in ihren Rollen über lange Zeit intensiv drin stecken, in ein, zwei, manchmal drei Spielzeiten, da kann man sich als Spieler sehr schlecht trennen, von dem was man eintrainiert hat. Ob es die Sprache ist, mit der wir immer noch zu kämpfen haben, die Bewegungen, einfach die Auseinandersetzung mit der Rollenfigur. Allein um diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, haben wir die Karten komplett neu gemischt. Wir haben ganz andere Gedanken von der Rollenfigur. Wir haben uns die Mitspieler angeschaut, haben versucht ihr Potenzial zu finden und uns überlegt, welche Rolle könnten sie spielen. Ein zweiter Grund ist, wir wollten das Stück von der Besetzung verjüngen.

 

Marion Beyer: Die Apostel sind bis auf eine Person eine neue Generation. Bis auf zwei Spieler sind alle verändert worden. Um zwei Spieler kamen wir definitiv nicht herum. Maria und Jesusdarsteller waren einfach spielerisch überzeugend und vermittelten uns das Gefühl, dass beide sehr offen sind für eine andere Herangehensweise, vielleicht eine andere Beleuchtung der Rolle oder Facetten, die man zeigen möchte.

 

 

?Ist die Figur quasi schon eine Interpretation der Geschichte?

 

Marion Beyer: Wir möchten die Figur nicht eindimensional, sondern sie im Kontext mit dem geschichtlichen Hindergrund darstellen. Mit dem, was man von den Evangelien weiß, muss es natürlich theologisch absolut integer sein, sonst ist es für uns gefährliches Eis, wenn man da etwas reininterpretieren würde was nicht übereinstimmt.

 

 

?Sagen Sie uns ein Beispiel?

 

Marion Beyer: Gerne, nehmen wir Maria Magdalena, das ist nicht ohne. Würden wir hinein interpretieren, dass sie in Jesus verliebt war, das wäre ein Ding, das sicher nicht jedem schmeckt. Dass es von ihrer Seite so gewesen sein könnte, ist spekulativ, aber nachvollziehbar. Umgekehrt, wenn Jesus diese Verliebtheit erwidert hätte, das wäre ein No-Go.

 

Hermann J. Vief: Wir haben uns Gedanken gemacht, was kann der Hintergrund gewesen sein? Warum hatte diese Maria Magdalena diese Rechte, diese besondere Stellung, gleichwertig mit den zwölf Aposteln mitzuwandeln? Was war der Grund? Warum hebt Jesus diese Frau in diese besondere Stellung? Sympathie, besondere Nähe, Seelenverwandtschaft, was auch immer. Es muss irgendeinen Grund gegeben haben.

 

 

?Sie müssen doch im allerhöchsten Maße bibelfest sein, um sich überhaupt diesem Stoff zu nähern?

 

Marion Beyer: Wir haben zum einen einen theologischen Berater als ‚letzte Instanz‘. Man macht sich schlau, recherchiert, wir haben ganz viel gelesen. Man muss einfach die nötige Vorarbeit leisten, um mit gutem Gefühl dabei zu sein.

 

 

? Die biblische Geschichte ist nicht unbedingt ein Traumstoff für einen Theater-Bestseller, oder?

 

Hermann J. Vief: Es ist eine interessante Geschichte, die man sich schon 2000 Jahre lang erzählt und die man mit Sicherheit noch weitere 2000 Jahre erzählen wird. Warum soll es nicht interessant sein, eine solche Geschichte in Bilder zu fassen? Nichts anderes machen wir als Regie. Wir erwecken diese Geschichte einfach für drei Stunden zum Leben.

 

Marion Beyer: Verzweiflung, Schuld, Beziehungen prallen einfach aufeinander und ganz viele Emotionen brechen auf und zum Schluss eskaliert in unserem Fall die Story und es gibt kein Zurück mehr. Natürlich ist es eine reizvolle Sache. Wenn ein Mensch unbeirrbar seinen Weg geht, ganz viele emotionale Beleuchtungen, die interessant sind, wie z.B. Mutterliebe, mit der man weiß, das muss ich für meinen Glauben machen. Jeder kann sich wieder finden als Betrachter und sich hinein denken.

 

?Sie beide sind bekannt dafür, dass sie sehr viel Wert auf vermeintliche Nebensächlichkeiten legen, auch bei den Dingen, die das Leben im Alltag zur Zeit Jesu betreffen, ist das so?

 

 

Marion Beyer: Wenn damit gemeint ist, dass die Figuren menschlicher werden sollen, ist das richtig. Wir möchten gerne von dem schwebenden frommen, fast unnahbaren Status zurück zur menschlichen, für den Zuschauer begreifbaren Figur. Man kann nur berührt werden, wenn man etwas nachvollziehen kann. Man kann nur etwas nachvollziehen, wenn man an der Figur nah dran ist.

 

Hermann J. Vief: Jeder Spieler weiß, was für ein Mensch seine Rollenfigur war, wie hat der getickt? Wenn ich das selber als Spieler verstanden habe, dann kann ich die Figur richtig darstellen.

 

Marion Beyer: Die Spieler haben ganz viel rollenbiografisches Material von uns bekommen. Wir haben sie in diese Zeit hineingeführt mit theaterpädagogischen Methoden.

 

 

?Beispiele?

 

Hermann J. Vief: Beim Einstiegswochenende haben wir einen allgemeinen Tagesablauf durchgespielt: ‚Stell dir vor, du in deiner Rollenfigur erwachst in der Früh in deiner Bettstatt. Was machst du? Dein Tagesablauf, was isst du zu Mittag? Wie verbringst du den Nachmittag, wann machst du Pausen, was gibt es zu Abend, wie ist Licht in deinem Haus usw?‘ Einfach damit sich die Spieler die Lebensumstände ihrer Figuren vorstellen können.

 

Marion Beyer: Das geschieht nicht theoretisch sondern liegend auf einer warmen Decke, die Augen geschlossen, orientalische Musik, damit man hineingleiten kann in diese Welt von damals. Man kann erst einmal selbst Bilder im Kopf erschaffen. Man spürt den warmen Wind, bekommt das Gefühl selbst in dieser Zeit zu leben.

Jeder von den 112 Rollenträgern hatte eine eigene Biografie. Wo bin ich aufgewachsen, wie von den Charaktereigenschaften angelegt? Dieses Gerüst konnte man ausbauen und die Figur verfestigen, für den Darsteller ist das einfach etwas, woran man sich festhält.

 

Hermann J. Vief: Es gibt die authentischen Personen, von denen geschichtlich belegt ist wie sie gelebt haben. Der größere Teil aller sonstigen Rollenfiguren sind spekulative oder fiktive Figuren. Von den zehn römischen Soldaten z.B. hat jeder einen anderen Hintergrund. Der eine lebt schon seit 20 Jahren in Jerusalem, der andere ist erst vor ein paar Monaten eingetroffen, einer ist ein Hardliner, der andere ist ein Dreckspatz, er wäscht sich nicht und stinkt, ein weiterer ist eitel und penibel. Diese ganzen Eigenschaften sind auf die kleinen Soldaten, die nicht mal Text haben, verteilt. Aber sie wissen genau – wenn sie auf der Bühne sind – der eine stinkt, von dem hält sich ein anderer z.B. fern, weil er es nicht mag. Diese Eigenschaften sind für die Spieler einfach nur eine Hilfe, um selbst entscheiden zu können wie sie untereinander agieren. Bei der Geißelungsszene: Zwei geißeln Jesus, einer ist von seinem Hintergrund ein ganz Brutaler, der andere ein Vorsichtiger, aber geißeln muss er auch. Die beiden hauen mit einer ganz unterschiedlichen Intensität drauf. Dem einen tut jeder Schlag selber weh, eigentlich möchte er gar nicht, der andere geilt sich daran auf.

 

 

?Stichwort Musik, erstmalig Livemusik. Was steckt hinter dieser Idee?

 

Marion Beyer: Die Idee kam von unserer Seite. Wir haben vor zwei Jahren den Don Camillo inszenierten, erstmalig in Sömmersdorf mit Livemusik. Wenn das Ganze in besonderer Art und Weise musikalisch unterstützt wird, haben wir auf die Dramaturgie mehr Einfluss. In Zusammenarbeit mit zwei uns sehr vertrauten Komponisten haben wir versucht eine Musik zu entwickeln, die die Stimmungen unterstützt und mit einem kleinen erlesenen Ensemble wird das ganze Stück begleitet. Eine Sängerin, die in Hebräisch, in Deutsch und zum Schluss mit dem ganzen Chor der Spieler englisch singt, soll das Weltumspannende dieser Gesichte verdeutlichen. Die Musik ermöglicht uns, die Szenenübergänge fließender zu gestalten und emotionale Tiefe in die Handlung einfließen zu lassen.

?Wie die Geschichte ausgegangen ist wissen wir, wie soll aber Ihre Geschichte in Sömmersdorf ausgehen, was wünschen Sie sich für die Passionsspiele 2013?

 

Marion Beyer: Wir erhoffen uns, dass wir Menschen berühren und wenn es nur für einen Moment ist, dass vielleicht sogar ein Funke überspringt. Das Publikum soll sich reinversetzen können in diese Zeit und in die Geschichte. Dass es für die Zuschauer ein intensives Erlebnis wird, würden wir uns wünschen.

 

Hermann J. Vief: Ein Publikum, das nach drei Stunden sagt: ‚Was, waren das schon drei Stunden?‘ und sich in den Folgetagen über das ein oder andere Gedanken macht.

 

Jürgen Kohl

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