Der Kernbestand der im Mai 2009 eröffneten Kunsthalle Schweinfurt widmet sich der nationalen Kunst der Nachkriegszeit unter dem Motto „Diskurse“ und ist deshalb vor allem auf das deutsche Informel und neoexpressionistische Strömungen ausgerichtet. Wesentlicher Aspekt der Dauerpräsentation im Erdgeschoss ist aber auch die Auseinandersetzung mit dem qualitätvollen Kunstschaffen aus und in der Region. Dabei handelt es sich durchaus um Künstler mit fränkischen Wurzeln, die heute in der ganzen Welt tätig sind. Ein „Diskurs“ in Anlehnung an die Kunstsammlung der Stadt bestimmt zu Anfang des Jahres 2011 ebenfalls die Ausstellung „Parallelnatur“ des Bildhauers Herbert Mehler aus Riedenheim bei Würzburg (geb. 1949) und des in Schweinfurt geborenen und in London lebenden Fotografen Andreas Schmidt (geb. 1967). Die rostfarbenen minimalistischen Skulpturen des Bildhauers korrespondieren dabei hervorragend mit den architekturbezogenen Arbeiten des Fotografen.
Erstmals seit Eröffnung der Kunsthalle ist eine gemeinsame Präsentation in Kooperation mit dem Kunstverein Schweinfurt an zwei Orten, im „White Cube“ der großen Halle und im Salong des Kunstverein Schweinfurt, zeitgleich und mit unterschiedlichen Akzenten zu sehen sein. Vier Arbeiten von Herbert Mehler sind zudem temporär im Außenbereich des ehemaligen Ernst-Sachs-Bades ausgestellt.
Herbert Mehler zeigt Arbeiten aus der Serie „Kavex“, die konkave und konvexe Formen in Corten-Stahl auf beeindruckende Weise vereinen und nicht von ungefähr an Vorbilder aus der Natur erinnern, ohne diese für den Betrachter direkt assoziieren zu können. Die spannungsvolle Ambivalenz von Statik und Dynamik formt wohlproportionierte Volumina von hoher Konzentration. Selbst Großskulptur von stolzen sechs Metern Höhe, wie beispielsweise das im Norden der Kunsthalle im Außenbereich aufgestellte Paar aus der Serie „Kavex“, strahlt eine spielerische Leichtigkeit aus.
Auf seinen nächtlichen Streifzügen durch “The City“, dem Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt, fängt der Künstler Andreas Schmidt in seiner Wahlheimat hellsichtige Bilder glitzernder Fassaden mit einer analogen Mittelformatkamera ein und dokumentiert hierbei den verführerischen Glanz der Bankenpaläste. Dabei verliert er aber nie deren menschenverachtende Maßlosigkeit aus dem Blick. In heutiger Zeit ein sehr aktuelles Thema! Andreas Schmidt inszeniert in seinen Fotoarbeiten ein „Schauspiel der Illusion“ und einen Ort extremer Gegensätze. Bei dieser Architektur geht es um Macht. „The City“ scheint wie eine moderne Version des antiken Turms von Babylon, den die Erbauer des 20. Jahrhunderts jedoch nicht zu Ehren einer Gottheit geschaffen haben, sondern zu Ehren des schnöden Mammon.
Was verbindet den Bildhauer mit dem Fotografen? Auf den ersten Blick ist es der Dialog formaler Aspekte: die Oberflächenreize von rostsamtigem Corten-Stahl und glänzendem Fotopapier etwa, oder das Vis à Vis von Waagrechten und Senkrechten oder von Krümmungen und Geraden, die Wechselwirkung von architektonischen Formen wie ein über Eck gehängtes Fotos der „Bank of England“ mit ihrer charakteristischen viktorianischen Säulenfassade und den hoch aufragenden Säulen- und Spindelformen des Bildhauers im Raum davor. Auch das Spiel von Licht- und Schatten ergänzt sich: Sei es in den Rippen und Kerben in Mehlers Figuren oder dem Raster eines Stahlgerüstes und der damit kontrastierenden hell erleuchteten Fensteröffnungen auf den Fotoarbeiten an den Wand. Der Ausstellungstitel „Parallelnatur“ zielt dabei bewusst auf Paul Cézannes Maxime ab: „Die Kunst ist eine Harmonie parallel zur Natur“. Dies setzt eine zusätzliche verbindende Klammer zwischen beiden Künstlern.
Bei Andreas Schmidt geht es grundsätzlich um Künstlichkeit sogar bei pflanzlichen Details wie etwa einen Kirschbaum vor einer imposanten Vorhangfassade. Er hinterfragt in seinen Arbeiten die Realität. „Wenn man eine Fotografie anschaut, weiß man ja nie genau, ob das Wirklichkeit oder Illusion ist. Das ist ein Punkt, der mich wahnsinnig interessiert. Es ist wie ein doppelter Hintergrund: Ich fotografiere etwas, das künstlich aussieht aber doch natürlich wirkt.“
Herbert Mehlers plastische Arbeiten entstehen einer Form aus aber nicht nach der Natur und trotzen der Schwerkraft des Materials Corten-Stahl. „Ihre scheinbare Leichtigkeit erwächst aus der anschaulichen Balance zwischen geometrischer und natürlicher Wuchsform, die der Bildhauer in klassischer Proportionalität aufeinander bezieht. Die Skulpturen sind in beiderlei Hinsicht geformtes Ideal und stehen damit in der langen Tradition, der menschlichen Suche nach einer Welt, die das eigene Ordnungs- und Orientierungsbedürfnis spiegelt.“ (Kai Uwe Schierz)
Über das aktuelle Werk von Herbert Mehler ist ein Katalogbuch mit 96 Seiten im Rahmen der Schweinfurter Museumsschriften mit Texten von Ulrike Lorenz, Andrea Brandl und Kai Uwe Schierz erschienen, das 13,- Euro kostet. Die Fotoarbeiten (Las Vegas, The City) von Andreas Schmidt wurden von Hatje Cantz, Stuttgart publiziert und kosten 29,80 bzw. zusammen 50,- Euro als Sonderpreis in der Ausstellung.
Herbert Mehlers Werke sind anschließend im Skulpturenpark Heidelberg e.V.
(5. 6. – 6. 11. 2011) zu sehen. Im Sommer 2012 richtet die Kunsthalle Erfurt im Haus zum roten Ochsen ein weiteres Projekt des Bildhauers in der dortigen Innenstadt und in der Galerie Waidspeicher im Kulturhof zum Güldenen Krönbacken aus.
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